Page 88 - Amag-KSB-Pegnitz 2020
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In einer Stadtratsvorlage schrieb der Pegnitzer Bürgermeister, dass der Schlosser
Großmann „als Vertreter der Arbeiterschaft der Pegnitzhütte“ bei der Stadt beantragt,
dass diese Notstandsarbeiten bereitstellen und mit diesen sofort begonnen werden
solle, weil „ab Montag, den 23. Mai 1921 in der Pegnitzhütte nur 24 Stunden wö-
chentlich gearbeitet wird. Mit den in dieser beschränkten Arbeitszeit erzielten Löhnen
können die Arbeiter nicht mehr leben.“ 231 Es ist zu bedenken, dass erst 1927 mit der
Arbeitslosenversicherung eine weitere Säule des Sozialstaates errichtet wurde, bis
dahin mussten die Arbeitnehmer das Risiko der Arbeitslosigkeit oder – wie hier – der
Kurzarbeit weitgehend selbst tragen. Dieser Beschäftigungseinbruch war rasch
überwunden, denn die deutsche Industrie wuchs innerhalb eines Jahres um 20 Pro-
zent, und die Arbeitslosenquote sank 1922 auf unter ein Prozent. Zugleich stiegen
die Reallöhne deutlich an, erreichten aber nicht das Niveau von 1913. Die Inflation
dieser Zeit wirkte wie ein Schmiermittel für das Wirtschaftswachstum.
Diese Inflation begann schon im August 1914, war aber durch Preisstopp und
zwangswirtschaftliche Maßnahmen während des Krieges weitgehend verdeckt. Nach
1918 zeigte sie sich deutlich und mit zunehmender Dynamik, schien sich aber 1919
und 1920 in erträglichen Grenzen zu halten. Sie rettete die deutsche Industriewirt-
schaft und ihre Arbeiterschaft und ermöglichte auch die Fortzahlung der „politisch
entspannenden Löhne“. 232 Selbst wenn die Preissteigerungen die ständigen Ein-
kommenserhöhungen oft entwerteten, wirkte es beruhigend, wenn die nächste Lohn-
erhöhung schon wieder bevorstand.
Ab August 1922 beschleunigte sich der Preisauftrieb immer mehr und führte bis zum
Herbst 1923 zu einer beispiellosen „Hyperinflation“, begleitet von verheerenden Pro-
duktionsrückgängen, welche die Volkswirtschaft wieder auf das Niveau von 1918 zu-
rückwarf.
Aus Pegnitz ist überliefert, dass die Ehefrauen oder Mütter der Amag-Beschäftigten
am Zahltag – mit dem Fortgang der Inflation wurden ein Teil des Lohnes schon am
Montag statt am Freitag ausgezahlt – am Fabrikfenster oder –zaun das Geld in Emp-
fang nahmen und es unmittelbar für Einkäufe verwendeten in der berechtigten Be-
fürchtung, dass die Preise am nächsten Tag schon wieder gestiegen sein würden.
Trotzdem sank die Kaufkraft der Löhne immer rascher. Überall gab es die „Flucht in
die Sachwerte“, und der extremen Vermehrung der Geldmenge und ihrer Umlaufge-
schwindigkeit stand ein Rückgang der Gütermenge gegenüber. Schließlich verdiente
ein Facharbeiter in der Pegnitzhütte – so er überhaupt noch beschäftigt wurde – pro
Stunde 680 Milliarden Mark, für ein Pfund Brot musste er 230 Milliarden Mark bezah-
len.
Der wirtschaftliche Kollaps führte endlich zur Währungsreform durch eine „Große
Koalition“ unter dem Reichskanzler Gustav Stresemann. Am 23. November 1923
wurde der Wechselkurs der neuen Rentenmark zur alten Währung mit 1 : 1 Billionen
festgesetzt, wobei die alten Geldscheine mit ihren absurden Beträgen zunächst wei-
terhin in Umlauf blieben und damit auch die Löhne gezahlt wurden. Anfang Dezem-
ber 1923 wurden die Tariflöhne auf Goldmark umgestellt, und aus 680 Milliarden
Mark wurde ein Stundenlohn von 0,45 Mark. „So viel erhielt der Facharbeiter, wäh-
rend der Ungelernte 2 Pfennig weniger verdiente. … so beendete doch die Arbeiter-
schaft in der (fränkischen) Metallindustrie die Inflation mit Löhnen, die im Durch-
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Stadtarchiv Pegnitz.
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Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 4. Band, 312.