Page 87 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
P. 87
79
Die Mehrheit der demonstrierenden Arbeiter glaubte zu dieser Zeit sicher noch, dass
die „Kapitalisten“ der „Pegnitzhütte“ nun enteignet würden. Die Mehrheits-SPD (siehe
Anmerkung 200) hatte sich jedoch gegen die revolutionäre Umgestaltung der Wirt-
schaftsordnung entschieden. Das marktwirtschaftliche System sollte in seinem
Grundzug erhalten werden. Die bald verabschiedete Weimarer Verfassung garantier-
te im Artikel 153 grundsätzlich das Privateigentum, und die Amag-Aktien verblieben
in den Händen ihrer bisherigen Eigentümer.
6.3 Im Krisenmodus: „Weimarer Republik“
Druck von außen, innenpolitische Spannungen und wirtschaftliche Konjunkturbewe-
gungen in rascher Abfolge verhinderten eine erfolgreiche Entwicklung der ersten
deutschen Demokratie. „In den zehn Jahren von 1919 bis 1929 wurde die deutsche
Industriewirtschaft einem atemberaubenden Achterbahnkurs ausgesetzt.“ 227 Nach
der kurzen Nachkriegsrezession folgte wider Erwarten ein Boom, der von der Hyper-
inflation abrupt beendet wurde. Danach gelang eine relative Stabilisierung, bis die
Weltwirtschaftskrise die Konjunktur in die bis heute tiefste Talsohle drückte.
Die Amag konnte sich diesem Auf und Ab nicht entziehen, auch wenn sie insgesamt
zwischen 1921 und 1930 eine gute Geschäftsentwicklung verzeichnen konnte. Teil-
weise wurde sogar im Zweischicht-Betrieb produziert. Für die Beschäftigten bedeute-
te dies dennoch, dass ihr Arbeitsplatz in der Fabrik nicht gesichert war. Musste die
zweite Schicht aufgegeben werden, wurden die hier Beschäftigten überflüssig. Ar-
beitslosigkeit und/oder Kurzarbeit waren ständige Begleiter. Schon damals musste
bei den Entlassungen eine „Sozialauswahl“ vorgenommen wurde: Es traf zuerst die
Mitarbeiter, die die wirtschaftlichen Folgen der Arbeitslosigkeit am ehesten verkraf-
ten konnten, weil sie z. B. keine Familienangehörigen versorgen mussten oder auf
landwirtschaftliche Ressourcen zurückgreifen konnten.
6.3.1 Nachkriegs- und Inflationszeit
Nach dem Ersten Weltkrieg befand sich das Unternehmen in einer schwierigen Lage.
Für die weggebrochenen Rüstungsaufträge musste Ersatz im angestammten Pro-
duktionsprogramm gesucht werden, um eine Beschäftigungsmöglichkeit für die im
Zusammenhang mit der Produktion von Rüstungsgütern aufgeblähte Mitarbeiterzahl
zu finden. Das wurde dadurch erschwert, dass die Unternehmer verpflichtet wurden,
ihre aus dem Krieg zurückkehrenden Mitarbeiter wieder einzustellen. Das Unterneh-
men musste auch die gesetzliche Einführung der 48-Stunden-Woche im November
1918 verkraften; gegenüber der wöchentlichen Arbeitszeit vor dem Krieg (57 Stun-
den) war dies eine Arbeitszeitverkürzung von fast 16 % 228 , was hinsichtlich der Kos-
tenbelastung für das Unternehmen gleichbedeutend war mit einer Lohnerhöhung um
fast 19 %. Dazu kam noch, dass die Pegnitzer Löhne auf den „Städtetarif“ und damit
auf das Nürnberger Niveau angehoben werden mussten. 229 Dies zeigt die starke Po-
sition, in der sich die Pegnitzer Gewerkschafter befanden. 230 Der Standortvorteil der
niedrigeren Löhne, vor 30 Jahren einer der Gründe für die Ansiedlung in Pegnitz,
bestand damit nicht mehr. Die Probleme für das Unternehmen waren viel größer als
die, welche die Umstellung auf die Kriegswirtschaft 1914 verursacht hatte.
227
Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 4. Band, 240.
228
Die schlagartige Kostensteigerung beschleunigte die Inflation im Deutschen Reich. Zur Arbeitszeit
vgl. Abschnitte 4.3.1.3 (1), 7.1, 7.5.1, 8.4.3 und 11.3.
229
Gert von Klass, 100 Jahre, 43.
230
Vgl. Abschnitt 4.3.1.3.