Page 83 - Amag-KSB-Pegnitz 2020
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                             6. Die unruhigen Jahre zwischen 1914 und 1933

                              6.1 Der Betrieb und seine Arbeiterschaft im Krieg


               Der Krieg beendete die „goldenen Jahre“ zwischen 1895 und 1913, jenen langlebi-
               gen Konjunkturaufschwung, „der Deutschland in das Spitzentrio der Industriestaaten
               getragen hatte“  212  und Pegnitz in die „Liga“ der (kleinen) Industriestädte. Aus den 40
               Arbeitern, mit denen die Fabrik 1890 in Pegnitz begann, waren bis 1914 über 400
               geworden.

               Die Lebenssituation der Arbeiter hatte sich in Deutschland seit dem Ende der 1880er
               Jahre ständig verbessert. Wie unter 3.4 gezeigt, waren die (nominellen) Lohnsteige-
               rungen stets größer als die Preissteigerungen für die Güter des täglichen Lebens, die
               Reallöhne – und nur diese sagen etwas aus über den Lebensstandard –   stiegen
               zwischen 1890 und 1913 kontinuierlich.

               Diese günstige Entwicklung kehrte sich im Sommer 1914 derart drastisch um, dass
               große Teile der Bevölkerung   – und insbesondere der lohnabhängige Teil – von  ei-
               nem um sich greifenden Verarmungsprozess getroffen wurde.         213

               Deutschland war schon vor 1914 zu etwa 40 % auf Lebensmitteleinfuhren angewie-
               sen.  Nach  Kriegsausbruch  kam  es  rasch  zu  Versorgungsengpässen,  zumal  dem
               Agrarsektor wegen der Einberufungen zur Armee viele Arbeitskräfte fehlten. Zudem
               verschärfte  die Blockade durch die Alliierten die Lage. Trotz Rationierung reichten
               die Lebensmittel nicht aus, viele Menschen litten Hunger. Besser gestellte Familien
               hatten den Vorteil, sich zusätzlich teure Nahrungsmittel auf dem „Schwarzmarkt“ leis-
               ten zu können. Hinter den nun rasch steigenden Preisen blieben die Einkommen weit
               zurück. 1916 und 1917 sollten die Erwachsenen mit 1000 Kilokalorien auskommen,
               das ist die Hälfte des täglichen Energiebedarfs. Auch die Rationierung der Lebens-
               mittel und die Festlegung von Höchstpreisen ab 1916 konnten den Mangel nicht be-
               seitigen.  Bis  1917  fiel  die  deutsche  Getreideproduktion  um  circa  die  Hälfte,  die
               Fleischproduktion kam fast völlig zum Erliegen. „Von 1914 bis 1917 sank das durch-
               schnittliche  Körpergewicht  der  erwachsenen  Bevölkerung  von  60  auf  49  Kilo-
               gramm.“  214

               Von dieser drückenden Entwicklung  wurde die Bevölkerung auf dem Land weniger
               stark betroffen als die in den großen Städten, und für die Amag-Arbeiter wirkte es
               sich vorteilhaft aus, dass ihr Betrieb in die deutsche Rüstungsindustrie einbezogen
               wurde.  Mit  Beginn  des  Ersten  Weltkriegs  musste  das  Werk  seine  Produktion  auf
               Kriegszwecke umstellen    215 , und das sind nicht nur Schiffskreiselpumpen für die kai-
               serliche  Marine,  sondern  auch  Artilleriegeschosse.  „Die  Pegnitzhütte  richtete  ihren
               Betrieb auf den Kriegsbedarf ein“ und stellte „Granaten und Wurfminen“ her.       216  Dafür
               musste die Fabrik sowohl personell als auch maschinell expandieren. 1915 wurde ein
               dritter  Kupolofen  in  Betrieb  genommen.  Zeitweise  wurde  zusätzlich  in  Nachtarbeit
               gearbeitet. Wegen der kriegswichtigen Produktion wurden die Beschäftigten im Rüs-
               tungssektor  besser  versorgt  als  etwa  die  Beschäftigten  in  der  Konsumgüterindust-



               212
                  Hans-Ulrich-Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 4. Band, 223.
               213
                  Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 4. Band, 82 f.
               214
                  Vgl. Matthias Blum, online unter: https://www.tum.de/die-
               tum/aktuelles/pressemitteilungen/kurz/article/31518/. (Abruf 4.4.2015).
               215
                  Gert von Klass, 100 Jahre, 62.
               216
                  Heinrich Bauer II, 495.
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