Page 77 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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               Januar 1906 traten Hermann Aust und Richard Kuhlo von ihren Ämtern als 1. bzw. 2.
               Vorsitzender  des  BIV  zurück  190 .  Richard  Kuhlo  war  nach  1906  noch  Beisitzer  des
               Nürnberger Sektionsvorstandes, und 1920 wurde er zum Ehrenvorstand des BIV er-
               nannt. 191

               Die  „Familienbande“  Vater,  Sohn  und  Schwiegervater  hielt  über  die  Zeit:  Alle  drei
               begegneten sich nicht nur im familiären Umfeld und auf der Ebene der Unternehmer-
               verbände, sondern auch im Aufsichtsrat der Amag. Wie bereits erwähnt, wechselte
               Richard Kuhlo nach seinem Rücktritt von der Vorstandsposition in den Aufsichtsrat
               und war dessen Mitglied  von 1919 bis zu seinem Tod 1923.       192  Hermann Aust gehör-
               te diesem Kontrollorgan 20 Jahre lang an (1914 bis 1934), und  der „Geheime Regie-
               rungsrat Dr. h. c. Dr. Alfred Kuhlo“ von 1918 bis 1931.

               Als Richard Kuhlo in den Wirren des militärischen und politischen Zusammenbruchs
               Ende 1918 die Geschäftsführung der Amag in jüngere Hände gab, stand nicht nur
               „seine“ Firma vor einer ungewissen Zukunft. Er musste erkennen, dass er seine Ziele
               als Verbandsfunktionär nicht erreichen konnte. Schon während des Krieges hatte die
               Militärführung  den  Gewerkschaften  Zugeständnisse    gemacht  („Hilfsdienstgesetz“
               von 1916), und nach der Kriegsniederlage wurde am 15. November 1918 die „Zent-
               ralarbeitsgemeinschaft  der  industriellen  und  gewerblichen  Arbeitgeber  und  Arbeit-
               nehmer“ (kurz: Zentralarbeitsgemeinschaft oder ZAG) ins Leben gerufen, und mit ihr
               erhielten die Gewerkschaften „das ausschließliche Vertretungsrecht, bei Verhandlun-
               gen im Namen der Arbeiter aufzutreten“.    193  Gerade dies zu verhindern war ein primä-
               res Ziel von Vater und Sohn Kuhlo im Dienst der Industriellenverbände. Außer die-
               sem  Einstieg  in  die  Tarifautonomie  gewannen  die  Gewerkschaften  den  Acht-
               Stunden-Tag mit garantiertem Lohnausgleich und das Mitwirkungsrecht  der Arbeit-
               nehmer durch Betriebsräte. Das „Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmit-
               gliedern in den Aufsichtsrat“ vom 15. Februar 1922 bewirkte,  dass von nun an zwei
               Amag-Arbeiter an den Aufsichtsratssitzungen teilnahmen. Richard Kuhlo erlebte das
               also noch, und vielleicht hatte er geahnt, dass dies erst der Anfang war. Heute ist der
               Aufsichtsrat  der  KSB AG  paritätisch  besetzt.  Er  besteht aus  12 Mitgliedern,  davon
               stellt die Seite der Beschäftigten die Hälfte. Davon gehört ein Mitglied zur Gruppe der




               Hermann Aust war ein Großunternehmer der aufkommenden Lebensmittelindustrie („Kathreiner Malz-
               kaffee“), und seine Firma gehörte zu den Pionieren des modernen Marketings. Zusammen mit seinem
               Schwiegersohn  Alfred Kuhlo saß  Aust im einflussreichen Münchner Herrenclub und Kaufmannskasi-
               no. Alfred Kuhlo stellte die Verbindung zwischen den Industriellenverbänden und der NSDAP her, die
               aber nicht von Dauer war. Alfred Kuhlo und sein Schwiegervater verkehrten viel mit jüdischen Banki-
               ers, waren Freimaurer und aktiv in der Kirche. Sie standen damit nicht auf der Linie der Nationalsozia-
               listen.
               In seiner Schrift „Auf dem Wege zum Deutschen Arbeitgeberbund“ (München 1904) fordert Alfred
               Kuhlo den einheitlichen deutschen Arbeitgeberverband, der 1913 verwirklicht wurde. Vgl. Hans-Ulrich
               Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 4. Band, 373.
               1913 setzte sich Alfred Kuhlo sehr kritisch  mit den Nationalökonomen auseinander, die eine staatliche
               Sozialpolitik befürworteten, vgl. Kuhlo, Alfred: Kathedersozialistische Irrwege: Mit besond. Berücks. d.
               Wirksamkeit u. d. Lehren d. Univ. Prof. Dr. Brentano, München 1913.
               190
                   Anton von Rieppel (Vorstand bei MAN in Nürnberg) wurde erster Vorsitzender; er war gleichzeitig
               Vorsitzender des auf die Metallindustrie fokussierten Vereins der bayerischen Metallindustrie, VBM,
               welcher wiederum Mitglied im BIV war. Der Textilindustrielle Carl Clauß wurde 2. Vorsitzender des
               BIV.
               191
                  Eckardt, Günther, Industrie und Politik in Bayern 1900 – 1919, 103 ff.
               192
                  Von Klatt, 100 Jahre, 96.
               193
                  Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte , 4. Band, 221, 377. Vgl. Fritz Opel und Dieter
               Schneider, Fünfundsiebzig Jahre Industriegewerkschaft 1891 bis 1966, 203 f.
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