Page 72 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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               Den  Abschied  „seiner“  Partei  von  der  Marxschen  Säkularreligion  mit  dem  „Godes-
               berger Programm“ (1959) erlebte er nicht mehr; 1954 war er im Alter von 69 Jahren
               verstorben. In all seinen Lebensbereichen repräsentiert er den Typus des Industrie-
               arbeiters der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er gehörte zu einem „klassenbe-
               wussten Proletariat“, das sich in „einem eigenen Sozialmilieu mit hoher Binneninteg-
               ration und tief eingefrästen  Außengrenzen“ eingerichtet hatte.    174  Die Lebensspanne
               dieser  Generation  war  geprägt  von  zwei  katastrophalen  Kriegen  und  heftigen  wirt-
               schaftlichen und politischen Krisen.

                                  4.4 Die Erosion des proletarischen Milieus

               Es konnte gezeigt werden, dass in der kleinen Stadt Pegnitz – vielleicht deutlicher als
               in  unübersichtlichen  Ballungszentren  –  nach  1890  die  Amag-Arbeiterschaft  „einen
               Großteil  des  proletarischen  Milieus  im  Sinne  einer  sozialdemokratischen  Subkultur
               prägen“  konnte. 175   Wegen  ihrer  relativ  komplizierten  Fertigungsprozesse  hatte  die
               Amag einen hohen Anteil von qualifizierten Arbeitern (Facharbeiter), und diese waren
               zudem zum größten Teil protestantisch. Genau dieser Personenkreis fand sich vor-
               wiegend in der deutschen Sozialdemokratie.


               Die Betätigung innerhalb dieser Subkultur mit den verschiedenen Vereinen und Or-
               ganisationen vollzog sich vor dem Hintergrund der stetigen Verbesserung der sozio-
               ökonomischen Bedingungen zwischen 1890 und 1914 (wie in Abschnitt 3.4 gezeigt
               wurde) und der Annäherung an die bürgerliche Lebenswelt, zumal deren Bildungsin-
               halte und Verhaltensnormen immer als Vorbild galten. Das zeigte sich beispielsweise
               in  der  Adaption  von  Modeströmungen,  in  der  Kleidung  (der  „gute“  Anzug  für  den
               Sonntag), bei der Inanspruchnahme von kirchlichen Kasualien (Taufe, Beerdigung,
               Eheschließung), bei der Gestaltung von kirchlichen oder familiären Festtagen und bei
               der Durchführung  von Vereinsfeiern, Fahnenweihen, Festzügen.

               Wie  anderswo  auch  erodierte  das  Sozialmilieu  der  Pegnitzer  Arbeiterschaft  rasch
               unter  den  1933  einsetzenden  Repressionsmaßnahmen  der  Nationalsozialisten.  Zu
               diesen  gehörten  nicht  nur  rigorose  Unterdrückungsmaßnahmen,  sondern  auch  die
               propagandistischen  Mittel,  mit  denen  die  sozioökonomischen  Klassen  eingeebnet
               wurden und als „Arbeiter der Stirn und der Faust“ in der nationalsozialistischen Ge-
               sellschaft aufgehen sollten. 176

               Die Ausschaltung des sozialdemokratischen Bürgermeisters Hans Gentner und sei-
               ner Stadträte erfolgte am 17. März 1933.     177  Unter Bezugnahme auf die „Notverord-
               nung“ des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 wurden in Pegnitz durch eine
               Anweisung des Bezirksamtes vom 7. April 1933 der Arbeiter-Turn- und Sportverein
               einschl. Fußballabteilung, der Arbeiterradfahrerbund und der Volkschor als „marxisti-
               sche Organisationen“ verboten.    178  Die Auflösung des „Unterstützungsvereins für Ar-
               beiter“ (Arbeiterverein) schien dem Pegnitzer Bezirksamt nicht angezeigt. Die Aus-
               schaltung des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes begann am 2. Mai 1933.




               174
                  Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 788.
               175
                  Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 802.
               176
                  Vgl. Abschnitt 7.1.
               177
                  Gerhard Philipp Wolf und Walter Tausendpfund, Pegnitz – Veldensteiner Forst, 439. Vgl. Abschnitt
               5.2.
               178
                  Stadtarchiv Pegnitz, Signatur F IX. c/90/Nr. 1 (Bd. 2).
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