Page 64 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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„Der Verein hat sich zur Aufgabe gestellt, im Anschluß an die Organisation der sozi-
aldemokratischen Partei Bayerns für die Grundsätze und Bestrebungen der Sozial-
demokratie einzutreten, für politische und wirtschaftliche
Aufklärung zu wirken und insbesondere bei Wahlen die
Kandidaturen der sozialdemokratischen Partei zu unter-
stützen.“ 151 (1899 nennt sich die Pegnitzer Gruppe
„Sociald. Wahlverein“, vgl. Abb. 43.)
Die Pegnitzer SPD erwuchs aus dem Arbeiterverein,
denn unter den Funktionären des neuen Vereins und des
seit 1892 bestehenden Arbeitervereins finden sich viele
Abb. 43: Stempel von 1899. gleiche Namen.
Quelle: Vereinsverzeichnis im Stadt-
archiv Pegnitz.
Am Sonntag, dem 14. Mai 1899, veranstaltete der Ver-
ein zusammen mit der örtlichen Metallarbeiter-Gewerkschaft eine Maifeier in Form
einer „öffentlichen Lustbarkeit“ sowie einer „Festrede“. 152 Wegen der zu erwarten-
den politischen Inhalte ordnete das Bezirksamt an, dass der Stadtsekretär die Veran-
staltung zu überwachen habe und insbesondere darauf achte, dass der Rede „Frau-
enspersonen und Minderjährige nicht beiwohnen“.
Im Stadtarchiv Pegnitz befindet sich der Bericht des Stadtsekretärs:
„Zufolge Auftrags eines kgl. Bezirksamts begab sich der Stadtsekr. Poellot in
Vertretung der Ortspolizeibehörde zur Überwachung der von dem hiesigen sozi-
aldemokratischen Wahlverein im Garten des Gasthauses zur Post dahier gestern
Nachmittags 3 Uhr abgehaltenen Maifeier in das bezeichnete Lokal….
Vor Beginn der Festrede … hat der Vorsitzende des genannten Vereins, der
Schlosser Hermann Schlenkrich, von der Rednertribüne aus sämtliche anwesen-
de nicht volljährigen männlichen Gäste aufgefordert, sich für die Dauer der Fest-
rede aus dem Versammlungslocal, dem Garten, zu entfernen. An die weiblichen
Gäste insgesamt wurde diese Aufforderung nicht gerichtet. … Doch waren trotz-
dem noch viele Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht erreicht haben,
während der Festrede im Garten anwesend. … Um nicht böses Blut zu machen,
wurde die Feststellung der Namen dieser Personen unterlassen.
Der Redner erging sich zuerst über die Bedeutung der Maifeier für die
Socialdemokratie und später über die Unterdrückung der Arbeiter durch das Ka-
pital und die Unternehmer bei ihren Bestrebungen um Verbesserung ihrer Lage.
Er warf den derzeitigen Machthabern des Staates, dann der Staatsanwaltschaft
u. der Geistlichkeit vor, daß sie in diesem Kampfe parteiisch auf Seite der Unter-
nehmer stünden und dieselben in jeder Art und Weise unterstützten. Der Redner
hielt sich im Allgemeinen ziemlich in Schranken und bediente sich keiner Aus-
drücke, welche Anlaß zur Strafanzeige gegeben hätten.“ 153
Minderjährigen und Frauen war die Teilhabe am politischen Leben nicht gestattet;
erst im November 1918 werden die Frauen das Wahlrecht erhalten. Es ist zu vermu-
ten, dass sich der Versammlungsleiter Schlenkrich – was die Frauen angeht – be-
wusst gegen dieses Verbot stellte und die weiblichen Besucher nicht zum Verlassen
der Veranstaltung aufforderte. Auch acht Jahre nach dem Ende des Sozialistenge-
151
Stadtarchiv Pegnitz, Signatur F IX. c/90/Nr. 1 (Bd. 2).
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Den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag gibt es erst seit 1933. Vgl. Text zu Abb. 58.
153
Stadtarchiv Pegnitz, Signatur F IX. c/90/Nr. 1 (Bd. 2).