Page 60 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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behalten und summarisch an die IG Metall weitergeleitet – für diese ein überaus rati-
onelles System. Diese Form der Beitragsentrichtung war ein „Erbe“ aus dem Natio-
nalsozialismus: Wie im Abschnitt 7.1 gezeigt wird, wurden die Beiträge zur DAF auf
diese Weise eingezogen. Nach 1945 war das Unternehmen bereit, das DAF-
Verfahren zugunsten der wieder entstandenen freien Gewerkschaften – hier die In-
dustriegewerkschaft Metall – fortzuführen. Als sich jetzt während des Arbeitskampfes
die Fronten verhärtet hatten, beendete die Amag den Beitragseinzug für die IG Me-
tall.
Die Gewerkschaft hatte ihr „Streikbüro“ im Gasthof „Goldener Stern“ unweit vom
Werk eingerichtet. Dort holten die über eintausend Streikenden ihr „Streikgeld“ ab.
Der Sohn des Wirtes berichtet, dass dieses „in nicht unerheblichem Umfang sofort im
Lokal … verflüssigt“ wurde und dass die Brauerei Knopf mit dem rechtzeitigen Nach-
schub in Schwierigkeiten geriet. 139 Das lag jedoch nicht an einer ausufernden Trink-
freudigkeit, sondern am Missverhältnis zwischen Wirtshauskapazität und der unge-
wohnt großen Gästezahl. Die Arbeitsverweigerung wurde von den meisten Streiken-
den als belastend empfunden: Zu den Einkommenseinbußen kam das Bangen um
den Arbeitsplatz, auch wenn sich dies hinterher als unbegründet herausstellte. In
dieser angespannten Situation suchte man den kollegialen Meinungsaustausch und
fand ihn im „Streiklokal“.
In diesem Streikbüro gingen auch die eher belächelten Solidaritätsadressen von
„Kollegen“ aus der DDR ein. Die Arbeiter im Westen wussten, dass dies eine propa-
gandistische Aktion der SED-Führung war, die ihren „Werktätigen“ das Streikrecht
vorenthielt, trotz der Kodifizierung in Art. 14 der DDR-Verfassung von 1949.
Die nicht-materiellen Kosten dieses Streiks wurden durch den Streikerfolg nicht auf-
gewogen. 140 Die Gewerkschaft befand, dass der 18tägige Streik mit einer faktischen
Niederlage endete, weil zwar Löhne und Gehälter angehoben werden konnten (der
„Ecklohn“ um zehn Pfennige), aber eine Verschlechterung des Lohngruppenschlüs-
sels und eine Maßregelung von Streikteilnehmern hingenommen werden mussten. 141
In der Amag ist von solchen „Maßregelungen“ nichts bekannt. Die Arbeiter, die sich
am Streik nicht beteiligt hatten, erhielten auf den neuen tariflichen Stundenlohn von
etwa 1,50 DM einen Zuschlag von zwei Pfennigen. Der neue Lohngruppenschlüssel
bewirkte, dass nur ein Bruchteil der Ecklohnerhöhung bei den Arbeitern ankam.
Beispiel 3: 2015
Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, organisierte die IG Metall in Bayern
am 23. Februar 2015 an ausgewählten Standorten, darunter Pegnitz, „Warnstreiks“.
139
Vgl. Ebenhöh, Gottfried: Sterngeschichten, Erlebnisse in einem fränkischen Gasthof 1953-1963,
Bayreuth 2013, 30 f.
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Ältere Pegnitzer erinnern sich, dass die harte Tarifauseinandersetzung enorme menschliche Prob-
leme aufwarf. Auch wenn eine Minderheit den Arbeitskampf ablehnte, sorgte doch der soziale Druck
der Kollegen dafür, dass die Arbeiter praktisch lückenlos in den Streik traten. Anders die Angestellten,
wo der Organisationsgrad geringer war als bei den Arbeitern. Und vermutlich war unter den Angestell-
ten ein größerer Teil, der sich mit den gewerkschaftlichen Forderungen nicht identifizieren wollte. Für
diese Leute war es extrem unangenehm, als „Streikbrecher“ das enge Spalier der „Streikposten“ zu
passieren und dabei verbale Belästigungen hinzunehmen. Der Streik war dem Betriebsfrieden nicht
förderlich; Zeitzeugen überliefern, dass die Spannungen zwischen Kollegen, die sich in Grußverweige-
rung und Ignoranz zeigten, jahrelang anhielten.
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http://www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_4866.htm (28.12.2014).