Page 56 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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               riellen  Interessen  der  Gewerksgenossen…“     125 .  Die  fast  wörtliche  Übereinstimmung
               mit  dem  Zweck  bei  der  Pegnitzer  Filiale  der  Metallarbeiter-Gewerkschaft von  1891
               (siehe  Abb. 38) macht deutlich, dass trotz der erheblichen Einschränkungen, unter
               denen die Arbeiterorganisationen zwischen 1878 und 1890 durch das „Sozialisten-
               gesetz“ zu leiden hatten, die Kontinuität bewahrt werden konnte. Dazu trug auch die
               „Deutsche  Metall-Arbeiter-Zeitung“  bei,  die  trotz  „Sozialistengesetz“  seit  1883  in
               Nürnberg erscheinen konnte.

               Deutlicher wird der eigentliche Zweck der jetzt gegründeten Gewerkschaft durch den
               Pegnitzer  Zusatz  „…  nach  §  152  der  Reichsgewerbeordnung“.     126   Der  Hinweis  auf
               diese  Rechtsnorm  zeigt,  dass  die  Metallarbeiter  in  ihrer    neuen  Gewerkschaft  die
               Vereinigung  „zum  Behufe  der  Erlangung  günstiger  Lohn-  und  Arbeitsbedingungen“
               sahen.  Erst  mit  der  Bildung  solcher  „Verhandlungsmonopole  auf  der  Arbeiterseite“
               wurde  in  den  folgenden  Jahren  ein  „grundsätzliches  Ungleichgewicht  auf  dem  Ar-
               beitsmarkt“ korrigiert, und es eröffnete sich die Möglichkeit,  „den übermächtigen Ka-
               pitalbesitzern als forderndes Kollektiv gegenüberzutreten“.   127  Die Organisation wurde
               damit zum Kontrahenten der Metallunternehmer und zielte neben der Verbesserung
               der Arbeitsbedingungen auf den Abschluss von Tarifverträgen.


               Nachdem  die  Pegnitzer  Gründung  schon  ein  Jahr  nach  der  Produktionsaufnahme
               der Amag in Pegnitz (Juni 1890) erfolgte, spricht alles dafür, dass die Gründer zur
               Belegschaft der „ersten Stunde“ gehörten und somit zugewanderte Facharbeiter wa-
               ren. Sie brachten das gewerkschaftliche Gedankengut in die kleine Provinzstadt. Die
               systemkritische  Sprache  und  das  Postulat  eines  radikalen  Umbaus  von  Staat  und
               Gesellschaft dürfte die Mehrheit der Alteingesessenen erheblich irritiert haben. Denn
               um diese Zeit, also 1890, hatten sich die „Freien“, und das waren die sozialistischen
               Gewerkschaften (und dazu zählte der Deutsche Metallarbeiter-Verband), im Wettbe-
               werb  der  verschiedenen  Gewerkschaftsrichtungen  längst  als  Sieger  erwiesen.       128
               Trotzdem  kam  es  in  Pegnitz  zur  Gründung  einer  konkurrierenden  konfessionellen
               Gewerkschaftsgruppierung.

                 4.3.1.2 Die Gründung des Ortsvereins Pegnitz des Christlich-sozialen
                                         Metallarbeiter-Verbandes 1907

               Die Zahl der Katholiken in Pegnitz stieg „infolge von der Errichtung der Eisengießerei
               ‚Pegnitzhütte‘, die viele kathol. Arbeiter anzog …“: 1898 zählte man in Pegnitz 262




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                  Opel, Fritz und Schneider, Dieter: Fünfundsiebzig Jahre Industriegewerkschaft 1891 bis 1966. Vom
               Deutschen Metallarbeiter-Verband zur Industriegewerkschaft Metall. Hrsg. Industriegewerkschaft Me-
               tall für die Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt/Main 1966, 449.
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                  § 152 Reichsgewerbeordnung i.d.F. von 1871 (und 1891): „Alle Verbote und Strafbestimmungen
               gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehülfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen
               und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesonde-
               re mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben. Jedem
               Theilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus
               letzteren weder Klage noch Einrede statt.“
               Diese Gesetzesnorm  ist der Vorläufer von Art. 9 Abs. III des Grundgesetzes und damit der Vorläufer
               der Koalitionsfreiheit, die seit 1949 Verfassungsrang  hat.
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                  Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München
               2009,  Sonderausgabe 2011, 1008.
               128
                  Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 193, 1045.
               Die „Freien“ Gewerkschaften sahen sich im Gegensatz zu den liberalen und christlichen Gewerkschaf-
               ten und  waren sozialdemokratisch ausgerichtet.
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