Page 54 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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               der Blockade durch die Alliierten und dem allgemeinen Rohstoffmangel der Abbau
               der bei Pegnitz anstehenden oolithischen Doggereisenerze  durch die oberschlesi-
               sche „Donnersmarckhütte“ aufgenommen wurde.          119   Noch 1918, im letzten Kriegs-
               jahr, wurden beachtliche Baumaßnahmen in Pegnitz begonnen, die 1921 fortgesetzt
               wurden.  120  Die Zeche musste jedoch schon 1923 geschlossen werden. Auch ohne
               diese  Bergleute  war  Pegnitz  –  obwohl  mit Bezirksamt,  Amtsgericht  und  Finanzamt
               ein  (untergeordnetes)  Verwaltungszentrum  –    allein  wegen  der  Pegnitzhütte  eine
               ausgeprägte Industrie- und Arbeiterstadt geworden.

               Wie unter 7.3 gezeigt wird, begann nach 1935 der Abbau der nicht sehr hochwerti-
               gen Erze erneut und in größerem Umfang. Die über 600 Bergleute verstärkten das
               proletarische Element in der kleinen Stadt ganz erheblich. Jedoch konnte dies wegen
               der seit 1933 betriebenen Gleichschaltungspolitik des NS-Staates gesellschaftspoli-
               tisch nicht mehr wirksam werden.    121

               In der deutschen Gesellschaft verstärkte sich vor allem nach 1890 – da begann in
               Pegnitz gerade die „Arbeiterzeit“ –  die Formierung der Arbeiterschaft zu einer sozia-
               len Klasse, und dem linken Proletarier, dem „vaterlandslosen Gesellen“,  wurde ein
               „inferiorer Platz in der Reichsnation zugewiesen“.   122  Die  „Bürger“ waren im Vergleich
               zu  den  Fabrikarbeitern  die  wirtschaftlich  und  sozial  Begünstigten.  Das  bürgerlich-
               konservative Gegenlager, in Pegnitz bestehend aus dem genannten Kleinbürgertum,
               einigen wenigen höheren „königlichen“ Beamten (z. B. im Bezirksamt, Rentamt und
               Gericht) und vielleicht einem Dutzend leitender Angestellter in der Fabrik,  war in der
               überschaubaren Kleinstadt sicher weniger ausgeprägt, doch wurden die reichsdeut-
               schen  Klassengegensätze  nach  der  jungen  Industrieansiedlung  durch  die  Amag
               auch in Pegnitz deutlich.

               Es ist nachweisbar, dass es von Seiten der „Bürgerlichen“ deutlich abwertende Vor-
               behalte gegenüber den Pegnitzer Fabrikarbeitern gab. Das zeigt sich auch in der Zu-
               gehörigkeit zu jeweils eigenen Vereinen und Organisationen, und unterstützt wird die
               Segregation durch die getrennten Wohnquartiere: In der „Stadt“ lebten die „Bürger“,
               östlich  der Bahnlinie entstanden die Arbeiterwohnhäuser und nach 1937 südlich der
               Stadt  die  abgelegene  Bergarbeitersiedlung.  In  der  Klassengesellschaft  des  Kaiser-
               reichs mit ihrer zementierten  Sozialhierarchie und auch noch während der „Ersten
               Republik“    verorteten  sich  die  einen  als  „Mittelstand“,  die  anderen,  die  über  nichts
               weiter als ihre Arbeitskraft verfügten,  fanden sich an deren unterem Ende.

                  4.3 Die Herausbildung der sozialdemokratischen Subkultur in Pegnitz

               1890 begann im wilhelminischen Deutschland der Durchbruch der „Freien Gewerk-
               schaften“  (dazu  gehörte  der  Metallarbeiterverband)  und  der  Sozialdemokratie  zur




               119
                  Da die materialintensive Schwerindustrie transportkostenempfindlich war  wurden die Verhüttungs-
               standorte  am „Transportkostenminimalpunkt“, im Falle der Eisen- und Stahlerzeugung „auf der Kohle“
               und nicht am Erzvorkommen errichtet. Auf den Steinkohlelagerstätten entstand die deutsche Schwer-
               industrie, und das Pegnitzer Eisenerz wurde zur Verhüttung in die Oberschlesischen Eisen- und   Koh-
               lewerke AG in Zabrze transportiert. Der Name dieser Stadt wurde 1915 zu Ehren des Feldmarschalls
               in „Hindenburg“ umbenannt. Heute trägt die polnische Stadt wieder  den alten Namen. Die Firma wur-
               de nach dem Gründer Graf Guido Henkel von Donnersmarck kurz Donnersmarckhütte genannt.
               120
                  Heinrich Bauer II, 823.
               121
                  Besetzung der Gewerkschaftshäuser und Errichtung der „Deutschen Arbeitsfront“ am 2. Mai 1933,
               Zerschlagung der Gewerkschaften 2. Juni 1933, Verbot der SPD 22. Juni 1933. Vgl. Abschnitt 7.1.
               122
                  Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 802.
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