Page 50 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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               die ca. 400 Amag-Mitarbeiter ein Jahres-Nettoeinkommen von ca. 560.000 Mark ,
               das zum weitaus größten Teil für Nahrungsmittelkäufe am Ort ausgegeben wurde.
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               Von der  Eröffnung  des  „Konsumvereins“  1911     wurden  Bäcker, Metzger  und  Le-
               bensmittelgeschäfte empfindlich getroffen.

               Der  in  der  Pfarrchronik  beschriebene Wohlstand  der  Pegnitzer  Geschäftsleute  war
               jedoch vergleichsweise bescheiden, war doch der gesamte Landstrich ohnehin nicht
               mit Reichtümern gesegnet. Dies zeigt z. B. der geringe Umfang der „Dienstbotenhal-
               tung“. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese in Pegnitz  wesentlich vom ober-
               fränkischen Durchschnitt abgewichen ist. Hier konnten sich im Jahr 1907 nur 1,1 %
               der  Bewohner  Dienstboten  leisten,  gegenüber  1,7  %  in  Bayern  und  2  %  im  Deut-
               schen  Reich.  100   Konkreter  als  dieses  Kriterium  relativiert  die  Stadtarchitektur  den
               Pegnitzer Wohlstand, wo sich bei den Wohn- und Geschäftsgebäuden nur selten und
               dann nur spärlich Anzeichen einer bürgerlichen Repräsentationskultur erkennen las-
               sen. Eine architektonische „großbürgerliche“ Selbstdarstellung, demonstriert am Zier-
               rat der Gebäude, fand auch an neuen Gebäuden kaum statt. 1909 schreibt der Zeit-
               zeuge Heinrich Bauer: „…nirgends ein ... Zierwerk … an den kahlen Flächen der Ge-
               bäude … Schmuck, den wir auch heutzutage noch dahier vergebens suchen.“             101  Ab-
               bildung 3 zeigt die typischen, einfachen Bürgerhäuser, die das Stadtbild prägten.

               Der Pfarrer beschrieb die politische Gesinnung dieser „Bürger“ als „liberal mit einem
               Stich ins demokratische“.  Auch wenn wir heute diese Aussage nicht präzise einord-
               nen  können,  so  gilt  doch  als  gesichert,  dass  die  politische  Haltung  der  Bürger  in
               deutlichem Kontrast zu der der Industriearbeiter und in vielen Belangen offensichtlich
               auch zu der der Altenstädter stand. Die Einwohner der (Neu-)stadt  können mehrheit-
               lich dem Bürgerblock zugerechnet werden, der bei der Kommunalwahl 1919 gegen
               die Koalition der „Altenstädter“ mit den Sozialdemokraten antrat.   102

               In der Altstadt, so liest man in der Pfarrchronik weiter, gebe es zwar einige begüterte
               Familien,  es  überwiege  dort  aber  die  ärmere  Bevölkerung.  Dazu  gehörten  viele
               Kleinbauern  und  die  Fabrikarbeiter,  die  eher  in  der  Altstadt  eine  Wohnmöglichkeit
               gefunden hatten, also auch der Eisendreher und die vermietende Altenstädter Witwe
               (siehe Abb. 37, die Ansichtskarte aus dem Jahr 1903 zeigt diese Altstadt).  Dieser
               ärmere Bevölkerungsteil stehe offensichtlich unter dem Einfluss des sozialdemokrati-
               schen Landtagsabgeordneten Johann Gentner – was unten tatsächlich gezeigt wer-
               den kann.  103  Dieser vermeide ein offenes Auftreten gegen die Kirche, weil er als „klu-
               ger Mann“ wisse, dass diese „in Pegnitz noch eine Macht ist“. Die Wiedereinführung
               der „Kirchenzucht“ werde jedoch durch den Einfluss der benachbarten Städte Nürn-
               berg und Bayreuth und der sozialdemokratischen Presse erschwert.

               In den Ausführungen des Pfarrers wird deutlich, dass er zunehmend Schwierigkeiten
               hatte, die Arbeiterschaft zu erreichen. Tatsächlich hatte sich bis zur Jahrhundertwen-
               de  gerade  unter  protestantischen  Arbeitern,  „die  sich  von  der  Amtskirche  ohnehin





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                  Ausganspunkt ist das jährliche durchschnittliche Netto-Einkommen von ca. 1400  Mark, vgl. Ab-
               schnitt 3.4.
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                  Vgl. Abschnitt 4.3.2.5.
               100
                  Reinhold Trübsbach, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 598.
               101
                  Heinrich Bauer I, 264.
               102
                  Vgl. Abschnitt 4.3.2.3. Zur Kommunalwahl 1919 siehe Abschnitt 5.2.
               103
                  Siehe Abschnitt 5.2. In der beschriebenen Situation gehörte Gentner dem 36. Landtag (der letzte
               im Königreich Bayern) von 1912-1918 an.
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