Page 48 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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4. Die Industrialisierung verändert die Pegnitzer Sozialstruktur
4.1 Die „heile Welt“ der Monarchie?
Die „zahlreichen Arbeiter“ begrüßten im Juni 1908 den bayerischen Kronprinzen
Ludwig (1912 – 1918 König Ludwig III.) „mit Hochrufen“, als dieser seine Reise nach
Bayreuth für einen „erlauchtesten Besuch“ der Stadt Pegnitz unterbrach und bei der
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Gelegenheit auch der Pegnitzhütte eine Kurzvisite abstattete.
„Da kam Prinz Ludwig, unser zukünftiger König, auf der Reise … durch die
Fränkische Schweiz, wo er allerorten jubelnd empfangen worden war, mit
seinem Gefolge abends 8 Uhr in unsere Stadt, die dem höchsten Gaste zu
Ehren ihr festlichstes Gewand angelegt hatte, begrüßt von den Klängen der
Musik des Bayreuther Infanterie-Regiments und von den begeisterten Hoch-
rufen der in dicht gedrängten Scharen den Marktplatz füllenden Einwohner-
schaft von Pegnitz und der Umgegend sowie der Schuljugend, der weißge-
kleideten Mädchen und der, bayerische Fähnchen tragende Knaben. Nach-
dem der Prinz vom Bürgermeister im Namen der Stadt bewillkommt war, die
Vorstellung der Vertretungen von Pegnitz und der Nachbargemeinden, der
Beamten, Geistlichen und Lehrer und der Vorstände der zahlreichen Vereine,
die in langen Reihen dort aufgestellt waren, entgegengenommen, mit allen in
seiner leutseligen Weise ein freundliches Wort und einen Händedruck ge-
wechselt, und von den Festjungfrauen einen Rosenstrauß und einen Ehren-
trunk empfangen hatte, nahm er in dem schön geschmückten Saale des
Gasthauses „zum weißen Lamm“ ein Abendessen ein, an dem außerdem
noch etwa 80 Herren teilnahmen. Hierauf fuhr er durch die inzwischen durch
Tausende von Lichtern festlich erhellte Stadt zum Bahnhofe, besichtigte noch
die prächtig geschmückte Fabrik, die ihren Betrieb bis dahin ausgedehnt hat-
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te, und setzte dann … um 10 Uhr seine Reise … nach Bayreuth fort.“
In den Ausführungen wird die Integrationskraft der bayerischen Monarchie auch im
protestantischen Franken deutlich. Die Damen durften zwar den Willkommenstrunk
bieten, jedoch am Bankett mit Prinz und „80 Herren“ nicht teilnehmen. Weil das ge-
samte Programm in nur zwei Stunden zwischen 20 und 22 Uhr ablief, blieben für den
Besuch der „prächtig geschmückten Fabrik“, die deshalb ihre Arbeitszeit in den
Abend hinein ausgedehnt hatte, wohl nur wenige Minuten. Die Hochrufe der Arbeiter
waren vielleicht nicht nur der Organisation und der Erwartungshaltung geschuldet;
schließlich hatte der Prinz für seinen Einsatz bei der Wahlrechtsreform (1906) Lob
von Seiten der in der Arbeiterschaft tief verankerten SPD erhalten. Vom angespann-
ten Verhältnis zwischen der deklassierten Arbeiterschaft und der weitgehend monar-
chistisch gesonnenen Bürgerschaft, der ganz offenbar auch der Chronist zuzuordnen
ist, ist nichts zu erkennen.
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Heinrich Bauer II, 493. Zu Ludwig III siehe Anmerkung 183 in Abschnitt 5.1.1.
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Heinrich Bauer I, 337.