Page 46 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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               raumsituation.  Im Juni 1920 wird wegen der Wohnungsnot vor einem Zuzug nach
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               Pegnitz „ernstlich gewarnt“.
               Die  Zuwanderer, oft  junge  Männer ohne  Familien, fanden bescheidene Wohnmög-
               lichkeiten als „Untermieter“, und dies vorwiegend in der Pegnitzer Altstadt,  wo die
               Alteingesessenen, meist kleinbetriebliche Landwirte, aus der Vermietung ein zusätz-
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               liches  Einkommen  schöpfen  konnten.   Die  beiden  Eisendreher,  die  1903  in  der
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               wohnt  bei  der  „Witwe  Trautner“  in  der  Altstadt  128,  der  andere  in  der  Altstadt  31
               (heute die Nürnberger Straße in Pegnitz).

                        3.4 Anstieg des Lebensstandards zwischen 1890 und 1913

               In dem Zeitraum seit den Anfängen der Pegnitzhütte im Jahr 1890 bis zum Ausbruch
               des  Ersten Weltkriegs  hatten  sich  die  Lebensbedingungen  auch der  Fabrikarbeiter
               stetig  verbessert.  Der  materielle  Fortschritt  wurde  in  diesem  Zeitabschnitt  für  eine
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               Mehrheit der deutschen Bevölkerung im Alltagsleben spürbar.

               Das  durchschnittliche  Jahres-Nettoeinkommen  in  der  deutschen  Metallverarbeitung
               stieg von 880 Mark (1890) über 1010 Mark (1900) auf 1417 Mark (1913). 1913 betrug
               in dieser Branche der Stundenlohn des Facharbeiters 66,2 Pfennig. Dieser Wert lag
               um 55 % über dem des ungelernten Tagelöhners, der im gleichen Betrieb nur 42,5
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               Pfennig verdiente.  Die Kaufkraft dieser Stundenlöhne wird deutlich, wenn man die-
               se  zu  den  Preisen  wichtiger  Nahrungsmittel,  wie  sie  im  Anhang  13  für  die  Stadt
               Nürnberg  erfasst  sind,  in  Beziehung  setzt.  In  diesem  Anhang  wird  auch  sichtbar,
               dass  sich  diese  Preise  zwischen  1901-1910  kaum  erhöht  hatten.  (Auch  zwischen
               1910 und 1913 variierten die Preise nur wenig.) In den 23 Jahren zwischen 1890 und
               1913  stieg  zwar  der  Index  für  die  gesamten  Lebenshaltungskosten  von  102,2  auf
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               129,8, also um 26,7 %.   Gleichzeitig erhöhten sich jedoch die Netto-Verdienste von
               880 Mark auf 1417 Mark, also um 61 %, so dass ein realer Einkommenszuwachs von
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               27 % verblieb.
               Durch  die  steigenden  Reallöhne  und  die  schrumpfende  Arbeitszeit  entstand  ein
               „Trend  (zu)  einer  unverkennbaren  Verbesserung  der  materiellen  Klassenlage  der



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                  Zur Entspannung der Wohnungsproblematik durch die Baugenossenschaft  siehe  Abschnitt 4.3.2.5
               und durch den Bau von Werkswohnungen siehe Abschnitt 11.1.
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                  Amts- und Anzeigenblatt des Bezirksamts Pegnitz vom 23.06.1920.
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                  Heinrich Bauer I, 332. Zur Sozialstruktur der Altenstädter vgl. Abschnitt 4.2.1.
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                  Jürgen Osterhammel, Das 19. Jahrhundert, 62.
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                  Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 778.
               Beim Wettbewerber KSB in Frankenthal – das Unternehmen war von Struktur und Größe her mit
               Amag-Hilpert vergleichbar – betrug 1913 der Durchschnittslohn (brutto) der 1385 Arbeiter pro Stunde
               0,56 Mark, pro Jahr 1346 Mark. Das jährliche Durchschnittsgehalt der 357 „Fabrikbeamten“ lag bei
               1568 Mark. (Vgl. Gert von Klass, Die Goldene Mitte, 23).
               Die Lohn- und Gehaltsangaben in dieser Abhandlung sind  grundsätzlich die Beträge vor den gesetzli-
               chen Abzügen, also die Bruttoverdienste, auf Ausnahmen wird hingewiesen.
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                  Desai, Ashok V., Real Wages in Germany, 1871-1913, Oxford 1968,  in: Deutsches Historisches
               Institut, Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern:
               http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_document.cfm?document_id=1746&language=german (Abruf
               02.02.2015).
               Dieser Index für die gesamte Lebenshaltung enthält nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch die Prei-
               se für Kleidung, Brennstoffe und Beleuchtung.
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                  100*161/126,7 – 100 = 27 (%). Die durchschnittliche Jahresrate von 1 Prozent erreicht bei weitem
               nicht den viermal so hohen Wert im „Deutschen Wirtschaftswunder“ nach 1945, vgl. Abschnitt 8.4.3.
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