Page 49 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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                 4.2 Strukturverschiebungen der Kleinstadtgesellschaft zwischen 1890
                                                       und 1933

               Mit der Industrieansiedlung von 1890 begann der Wandel der agrarisch und kleinge-
               werblich  geprägten  Stadt  Pegnitz    in  eine  Industrie-  und  Arbeiterstadt.  Mit  der  Zu-
               nahme der Wohnbevölkerung  ging  eine  Veränderung  im  gesellschaftlichen  Gefüge
               einher: Zu den einheimischen Ackerbürgern und Handwerkern mit (meist) beschei-
               denem Besitz und tradierter Lebensweise stießen die zugewanderten Fabrikarbeiter
               mit Berufen, die den Einheimischen weitgehend unbekannt waren. Und sie brachten
               eine wenig „bürgerliche“ Weltsicht mit, mit der sich die wenigsten der Alteingesesse-
               nen identifizieren wollten.


                                        4.2.1 „Bürger“ und „Altenstädter“

               Wie  Abb. 2 erkennen lässt, bestand das alte Pegnitz aus zwei Teilen: Dem älteren
               „Marktflecken“, eben die Altstadt, und etwa 350 m nördlich davon die Neusiedlung,
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               welche  erst  im  14. Jahrhundert  planmäßig  angelegt  wurde.   Dieser  geografischen
               Teilung entsprachen trotz der formellen rechtlichen Gleichberechtigung der Einwoh-
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               ner     auch  sozio-ökonomische  Unterschiede.  Den  eher  gut  situierten    „Ackerbür-
               gern“ der „Stadt“ standen die ärmeren Altenstädter gegenüber.

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               In der Pfarrchronik von 1916/17  beschreibt der evangelische Pfarrer  die Sozial-
               struktur der Pegnitzer Bevölkerung. Danach siedelte in der „Stadt das Kleinbürger-
               tum, zum großen Teil wohlhabende Geschäftsleute wie Bäcker, Metzger, Wirte, Kauf-
               leute,  und  viele  von  ihnen  betrieben  zusätzlich  Landwirtschaft.  Diese  schauten  mit
               einer „gewissen Geringschätzung“ auf die Bauern im ländlichen Teil der Pfarrei. Dies
               mag damit zusammenhängen, dass für die allermeisten Bauern der Landbesitz nur
               einen  Rückhalt,  nicht  aber  eine  hinreichende  Existenzgrundlage  darstellte.  Viele
               mussten  als  kleingewerbliche  Handwerker  oder  durch  Lohnarbeit  zusätzliches  Ein-
               kommen erwirtschaften.  In Bayern besaßen vier Fünftel der Landwirte keine exis-
               tenzsichernde Vollbauernstelle, und die Situation im Pegnitzer Umland dürfte wegen
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               der ertragsschwachen Böden eher schlechter gewesen sein.  Immerhin gab der be-
               scheidene Grundbesitz die Möglichkeit zu einer Subsistenzwirtschaft, und auch wenn
               diese  gedrückt  und  ärmlich  war,  gewährte  sie  doch  in  den  katastrophalen  Ernäh-
               rungskrisen während des ersten Weltkriegs („Steckrübenwinter“) und bald nach 1945
               eine relativ sichere Existenzgrundlage.


               Mit der  prosperierenden Fabrik entstand Nachfrage nach vielfältigen Leistungen des
               Pegnitzer  Kleingewerbes.  Das  produzierende  Handwerk,  z.  B.  Baugeschäfte  und
               Spenglereien, verdiente an den Aufträgen, die die Amag bei Ausbau und Instandhal-
               tung  sowie  für  den  laufenden  Betrieb  ihrer  Fabrik  an  örtliche  Betriebe  vergab.  Die
               Pegnitzer  Lebensmittelhandwerker  und  Einzelhändler  zogen  ihren  Vorteil  aus  der
               Nachfrage der Amag-Mitarbeiter nach Nahrungsmitteln. Für 1913 errechnet sich für



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                  Vgl. Gerhard Philipp Wolf und Walter Tausendpfund, Pegnitz – Veldensteiner Forst, 63 f, 66 ff.
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                  1818 wurden die beiden Ortschaften eine Gemeinde, aber erst 1876 erhielten die Bewohner der
               Altstadt die gleichen Rechte und Pflichten wie die Bewohner der „Stadt“.  Vgl. Bauer II, 555, 558.
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                  Zitiert bei Gerhard Philipp Wolf und Walter Tausendpfund, Pegnitz-Veldensteiner Forst, 393 ff.
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                  Bis zur Ansiedlung der Pegnitzhütte, also bis 1890, gab es nur wenige Katholiken in Pegnitz. Vgl.
               Abschnitt 4.3.1.2.
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                  Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 831.
               Walter Tausendpfund, Handel, Handwerk, Industrie im Verlauf der Pegnitzer Stadtgeschichte, in: Peg-
               nitz – 650 Jahre Stadt, 113.
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