Page 53 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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               konfliktbehaftet sein, musste er jetzt doch seinen ehemaligen Kollegen an den Werk-
               zeugmaschinen  die  Akkordsätze  vorgeben.  Bei  zu  knapper  Bemessung  musste  er
               sich  dort  rechtfertigen,  bei  zu  großzügiger  bei  seinem  Vorgesetzten.  In  der  Praxis
               jedoch schien die kollegiale Verbundenheit vorzuherrschen. Die großzügige Vorgabe
               der Stückzeiten führte dazu, dass die auf die Arbeitsstunde umgerechneten Akkord-
               löhne  deutlich  über  den  tariflichen  Stundenlöhnen  lagen.  Damit  eine  zu  deutliche
               Abweichung  nicht  auffiel,  wurden  „Akkordlohnzettel“  gehortet  und  nicht  sofort  zur
               Lohnabrechnung eingereicht. Es war kein Geheimnis, dass vor allem in den weniger
               überwachten  Nachtschichten  die  Akkordarbeiter  ihren  Vorrat  an  angehäuften  Ak-
               kordminuten durch überlange Pausen abfeierten. Die Geschäftsleitung begann des-
               halb  im Jahr 2000, das Akkordlohnverfahren durch ein System aus Gruppenarbeit
               und Prämienlohn zu ersetzen.

               2005  wurde  die  durch  die  gesellschaftliche  und  wirtschaftliche    Entwicklung  längst
               überholte Unterscheidung Arbeiter – Angestellte im Arbeits- und Sozialrecht aufge-
               hoben,  nachdem  schon  2003  auf  der  Tarifvertragsebene  in  der  Metallindustrie  die
               Kategorien  Lohn  (Arbeiter)    und    Gehalt  (Angestellte)  durch  das  „Entgelt“  ersetzt
               worden  waren.  Ein  „Entgelt-Rahmenabkommen  (ERA)“  enthält  seitdem  einheitliche
               Kriterien für die Einstufung in Entgeltgruppen.   114  Aber auch 10 Jahre nach dem for-
               mellen Wegfall  der  Unterscheidung  kann  auch  im  Pegnitzer  KSB-Werk  beobachtet
               werden, dass „die Begriffe ‚Arbeiter und Angestellte‘ noch fest im Alltagsbewusstsein
               und in der Alltagssprache verankert“ sind.  115

                                   4.2.3 Die „Pegnitzer Klassengesellschaft“

               Obwohl die Amag für die Pegnitzer Handwerker kein unmittelbarer Konkurrent war,
               hat  die  industrielle  Produktionsweise  insgesamt  auch  das  Handwerk  in  vielfältiger
               Weise beeinflusst. Nicht wenige Gewerke wurden durch die industrielle Produktions-
               weise  obsolet. 116   Ihr  sozioökonomischer  Abstieg    vereinte  die  davon  betroffenen
               Menschen mit der Industriearbeiterschaft. Möglicherweise sind im gleichen Ausmaß,
               wie  Teile  der  Angestellten  dem  bürgerlichen  Lager  zuwuchsen,  aus  diesem  Hand-
               werker und Kleinstlandwirte ausgeschieden. Diese und ländliche Tagelöhner konnten
               ihre wirtschaftliche Situation verbessern, wenn sie sich in dem neuen Industriebetrieb
               verdingen konnten. Den (größeren) Bauern in Pegnitz und seinem Umland war mit
               der Industrieansiedlung ein Konkurrent um billige Arbeitskräfte entstanden. Deshalb
               wurde die Amag-Ansiedlung von der Landwirtschaft insgesamt abgelehnt, die „leider
               auch  manche  Einbuße“  hinnehmen  muss,  da  sie  ihr  „zahlreiche  Arbeitskräfte  ent-
               zieht“. 117

               Eine „Verstärkung“ des Teils der Pegnitzer Bevölkerung, der der Arbeiterschaft zuzu-
               rechnen war,  brachten die ca. 200 Bergleute      118 ,  als mitten im 1. Weltkrieg wegen


               114
                  Vgl. Tarifvertrag über das Entgelt-Rahmenabkommen, in:
               http://de.wikipedia.org/wiki/Tarifvertrag_%C3%BCber_das_Entgelt-Rahmenabkommen (Abruf
               20.12.2014).
               115
                  Vgl. Hartmut Meine, „Arbeiter und Angestellte“: Vom Ende und Beharrungsvermögen alter Scheide-
               linien,  WSI Mitteilungen 2/2005, 76.
               116
                  Vgl. Heinrich Bauer I, 379. Bis zum dem Ende des 19. Jahrhunderts waren die zahlreichen „Leine-
               weber“ in Pegnitz fast ganz verschwunden.
               117
                  Heinrich Bauer I, 332.
               118
                  Die Eisenerzgewinnung begann 1916 mit 54 Bergleuten, darunter 19 Kriegsgefangene. (Jörg Wett-
               engel, Chronik der Eisensteinzeche „kleiner Johannes“ in Pegnitz, in:
               http://forum.untertage.com/viewtopic.php?f=1&t=3215 (Abruf: 08.12.2014)).
               Vgl. Heinrich Bauer II,  571 f.
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