Page 52 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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beitergruppen wurde je nach Qualifikationsniveau und Berufserfahrung weiter diffe-
renziert. Der ältere qualifizierte Vorarbeiter stand in Sozialprestige und Einkommen
deutlich über dem Tagelöhner. Aus der Arbeitsordnung von 1905 ergibt sich, dass
neben den genannten Fachkräften solche „Taglöhner“ beschäftigt waren 107 , also Mit-
arbeiter, die ohne qualifizierte Berufsausbildung und oft ohne Schulabschluss als
Hilfskräfte auf der untersten betrieblichen Hierarchieebene standen. 108
„Oberhalb“ der Facharbeiter waren die Angestellten angesiedelt, im Betrieb schon
äußerlich am hohen Stehkragen erkennbar (vgl. Abb. 29). Die Angestellten waren
der Arbeitsordnung von 1905 nicht unterworfen und sind dort definiert als Personen,
„welche .. gegen feste Bezüge dauernd zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betrie-
bes oder einer Abteilung desselben beauftragt oder mit höheren technischen Dienst-
leistungen betraut sind.“ 109 Pegnitz war nur eine vergleichsweise kleine „Zweigstel-
le“. Die Unternehmensleitung und der Großteil der Büroeinheiten befanden sich in
Nürnberg, und dort wurde der überwiegende Teil der kaufmännischen und techni-
schen Angestellten beschäftigt. Insgesamt dürfte der Angestelltenanteil an der Be-
legschaft vor dem 1. Weltkrieg bei 20 % gelegen haben. 110 Dieser Anteil stieg stän-
dig an: 1963 waren bei der Amag 40 % der Belegschaft Angestellte, und 1976 hatte
die KSB-AG erstmals mehr Angestellte als Arbeiter 111 (wobei am Standort Pegnitz
der Anteil niedriger war, dafür in Frankenthal mit dem Sitz der Firmenzentrale ent-
sprechend höher). Die Ursache für diese Verschiebung ist in der Zunahme der dis-
positiven und administrativen Tätigkeiten zu suchen. Hier stoßen die Rationalisie-
rungsmöglichkeiten rascher an ihre Grenzen als in den Fertigungsbereichen.
Obwohl in ihrer sozioökonomischen Stellung innerhalb ihrer Gruppe noch stärker dif-
ferenziert als die Arbeiter, waren die Angestellten in mehrfacher Hinsicht gegenüber
den Arbeitern privilegiert. Den Nachweis der täglichen Anwesenheitszeit durch das
Betätigen einer „Stechuhr“ verlangte die Amag nur von ihren Arbeitern. Erst die Ein-
führung der „flexiblen Arbeitszeit“ in den 70er Jahren beendete diese Ungleichbe-
handlung. Für ihre Angestellten errichtete das Unternehmen 1915 in Pegnitz ein „Be-
amten-Kasino“ (das ab 1920 als „Direktions-Villa“ genutzt wurde und heute als Gäs-
tehaus dient). Für die Arbeiter bestand seit 1910 ein eigener „Essraum mit Kantine“.
Während Angestellte und Beamte Anspruch auf eine Woche bezahlten Urlaub hat-
ten, war ein solcher für Arbeiter vor 1914 eine Rarität, und Angestellten wurde bei
Krankheit das Gehalt vom Unternehmen sechs Wochen lang weiter bezahlt. 112 Mit
diesen Privilegien versuchte man, die Angestellten für die „reichsfreundlichen“ Par-
teien und die Staatsregierung zu gewinnen. Ganz überwiegend folgten sie dem bür-
gerlichen Vorbild. 113
Für die Arbeiter war ein „Aufstieg“ zum Angestellten erstrebenswert, so konnte zum
Beispiel ein Facharbeiter mit der Versetzung in die Arbeitsvorbereitung in das „Ange-
stelltenverhältnis“ übernommen werden. Die neue Aufgabe konnte aber durchaus
107
Arbeitsordnung der Pegnitzhütte von 1905, S. 4.
108
Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 784.
109
Arbeitsordnung der Pegnitzhütte von 1905, S. 2.
110
1913 waren beim etwa gleich großen Konkurrenten KSB in Frankenthal 1385 Arbeiter und 357
„Fabrikbeamte“ beschäftigt, der Angestellten-Anteil betrug also ca. 20 %. (Vgl. Gert von Klass, Die
Goldene Mitte, 23).
111
Geschäftsbericht der KSB AG 1979, 12.
112
Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 782. Erst 1970 wurden die Arbeiter den
Angestellten im Krankheitsfall gleich gestellt, vgl. Abschnitt 8.4.5, Anmerkung 335.
Zur Entwicklung der Urlaubsdauer vgl. Abschnitt 7.1, Abschnitt 8.4.3 und Abschnitt 11.3.
113
Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, 757 ff.