Page 109 - Amag-KSB-Pegnitz 2020
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grüßte „Gregor“ freundlich winkend aus einer Personengruppe auf einem US-
Militärfahrzeug heraus seinen zufällig vorbei kommenden Meister in der Konsumbä-
ckerei, in seinen Gefühlen sicher schwankend zwischen Angst und Hoffnung. Er
konnte noch nicht wissen, dass er kurz darauf wieder bei seiner Familie sein und
schon bald die Geburt seiner Tochter beim Pegnitzer Standesamt anmelden würde.
Die Familie konnte die Herkunft aus der Ukraine (nicht aus „Rußland“) glaubhaft ma-
chen und deshalb die Rückführung in die alte Heimat und damit in die Sowjetunion
verhindern. Sie betrieb später die Auswanderung in ein außereuropäisches Land.
Die Besatzungsmacht beschlagnahmte neben dem erwähnten Rosenhof-Lager auch
alle Kriegsgefangenen-Baracken, die direkt im Werk lagen. Zur Unterbringung eige-
ner Truppenverbände wurden ferner die neue Werkhalle (später W IV) und das als
Verwaltungsgebäude konzipierte Haus, also zwei große, zum Teil noch unfertige
neue Gebäude, beide am Waidmannsbach, von den Amerikanern beschlagnahmt.
Das weitläufige Gelände diente im Sommer 1945 den Kindern der Nachbarschaft als
Abenteuerspielplatz. Dort konnten sie auch amerikanische Besatzungssoldaten bei
der Ausübung von bis dahin unbekannten Freizeitaktivtäten beobachten. Die Kleine-
ren freuten sich riesig über ein Stückchen US-Schokolade, Ältere sammelten die von
den Soldaten weggeworfenen Zigarettenreste. Mit der Lockerung des Fraternisie-
rungsverbotes ergab sich die Möglichkeit, dass amerikanische Soldaten ihre Klei-
dung und Wäsche von Pegnitzer Hausfrauen reinigen ließen. Bezahlt wurde mit Nah-
rungsmitteln oder Zigaretten. Letztere lieferten bald den Wertmaßstab für das
Tauschgeschäft. Die US-Zigarette wurde zum universell verwendbaren Tauschmittel
auf dem aufblühenden Schwarzmarkt („Zigarettenwährung“).
Mit dem Hoheitsakt der Beschlagnahme verlor die Amag die Verfügungsgewalt über
die genannten Gebäude und musste sich mit der Zwangsverpachtung an den öffent-
lich-rechtlichen Sektor abfinden. Die Firma erhielt einen Anspruch auf eine Pachtzah-
lung gegen den deutschen Fiskus. Sachverständige aus dem Landratsamt setzten
die monatliche Pacht je Quadratmeter fest: 0,68 Reichsmark für die Baracken, für die
festen Gebäude eine Reichsmark und für die Kellerfläche 0,50 Reichsmark. Für die
Gebäude im Werk summierte sich das auf 4861 Reichsmark pro Monat (September
1945), die vom Landratsamt bewilligt wurden. Dieser Betrag wurde über die Stadt
Pegnitz abgerechnet, ebenso die Pacht für die Rosenhof-Baracken, das Entgelt für
die Nutzung der Werksküche, der Bäder und Desinfektionsanlage, die Stromkosten
für die beschlagnahmten Unterkünfte und der Wert aller Lebensmittelvorräte in der
Amag, die für die Verpflegung der ausländischen Arbeiter im Gemeinschaftslager
Rosenhof abgeliefert werden mussten. 284 (Die Verpflegung übernahm ab dem 1. Juli
1945 direkt ein „Ernährungsamt“ der Landkreisverwaltung.) Das Unternehmen konnte
durch diese Erlöse aus Pacht und Kostenerstattungen seine weitgehenden Leer-
stände in den ersten Nachkriegsmonaten gut verwerten.
8.2 Wiederbeginn in Pegnitz im Mai 1945
In einem Bericht an den Pegnitzer Bürgermeister schrieb der Amag-Vorstand am 1.
Mai 1945:
„Seit 17. April 1945 ist die Fabrik … militärisch besetzt. Zugang haben nur die
Kriegsgefangenen, Belgier, Franzosen, Russen sowie die Zivilausländer. Den
Werksangehörigen ist das Betreten der Fabrik verboten. … Aus Ausländeraussa-
gen ist uns bekannt, dass beträchtliche Verwüstungen im Werk angestellt worden
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Stadtarchiv Pegnitz, Sign. B/II 8c/Nr. 7c.