Page 108 - Amag-KSB-Pegnitz 2020
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                       8. Der Start in die „Zweite Republik“ und das „Deutsche
                                               Wirtschaftswunder“

                                      8.1 Amag-Hilpert und die „Stunde 0“

               Mit dem Einmarsch der Amerikaner in Pegnitz am 14. April 1945 war auch das Stadt-
               regiment des NSDAP-Bürgermeisters beendet und die amerikanische Militäradminist-
               ration setzte sofort Hans Gentner (vgl. Abschnitt 5.2) wieder in das Pegnitzer Bür-
               germeisteramt ein – naturgemäß mit erheblich eingeschränkter Autonomie. So muss-
               te er am  8. Mai 1945 – zufällig der Tag der bedingungslosen Kapitulation – anord-
               nen, dass die Stadt für die ausländischen Zivilarbeiter in Pegnitz, die von den Ameri-
               kanern am Lager Rosenhof zusammengefasst worden waren,  die Verpflegungskos-
               ten übernimmt. Es handelte sich um 71 „Ostarbeiter“, 17 Franzosen, 3 Italiener, 42
               Polen, also 133 Personen.    283  Wie in dem unten zitierten Brief des Amag-Vorstandes
               vom 1. Mai 1945 zu lesen ist, befanden sich Anfang Mai in der Amag neben „Zivil-
               ausländern“  auch  russische,  belgische  und  französische  Kriegsgefangene,  Zahlen-
               angaben fehlen und liegen bei KSB auch nicht vor. Im Abschnitt 7.5.1 wurde für 1944
               von insgesamt 300 Zwangsarbeitern in der Amag berichtet.

               Die  Rückführung  („Repatriierung“)    der  Kriegsgefangenen  und  Zivilarbeiter  (DPs,
               Displaced Persons) in ihre Herkunftsländer wurde der United Nations Relief and Re-
               habilitation Administration (UNRRA) übertragen, die unter der Leitung der Militärver-
               waltungen  der  westlichen  Besatzungszonen  stand.  Die  Repatriierung  nach  West-,
               Süd- und Nordeuropa  verlief weitgehend rasch und reibungslos, anders die der ent-
               wurzelten und versprengten Menschen aus dem sowjetischen Machtbereich.

               Das Pegnitzer DP-Camp der UNRRA entstand in den ehemaligen Zwangsarbeiter-
               Baracken der Amag in Rosenhof (Anhang 21 (1)). Die dort  zusammen gezogenen
               Menschen mussten über die Stadtkasse auf deutsche Staatskosten versorgt werden.
               Lieferanten waren die örtlichen Bäcker und Metzger, die Baywa mit ihrer Kartoffellie-
               ferung und die Brauer-Vereinigung mit 3600 Liter Bier zwischen  24. April und 30.
               Juni  1945  zum  Literpreis  von  0,42  Reichsmark.  Ob dies für  die Betriebe eine  drü-
               ckende Belastung oder ein gutes Geschäft war, kann nicht beurteilt werden. Die Ver-
               sorgungslage  der  Ausländer  dürfte  sich  aber  verbessert  haben,  zumal  das  „Wirt-
               schaftsamt“ im gleichen Zeitraum 650 Zigarren beisteuerte.
               Im  November 1945 erging  auf  Anweisung  der  amerikanischen  Militärregierung  von
               der UNRRA über die Stadtverwaltung die Aufforderung an alle Polen und „Russen“,
               die nicht in den Camp-Baracken, sondern in der Stadt (meist bei ihren Arbeitgebern)
               wohnten, mit ihrem Gepäck im Camp zu erscheinen (vgl. Anhang 21(2)). 11 Polen
               und 42 „Russen“ wurden namentlich aufgelistet, unter Letzteren war zum Beispiel der
               25jährige Gregorius H. und seine Ehefrau. Der Mann war in der Bäckerei des Kon-
               sums beschäftigt, dort war er der „Russe Gregor“. Während die Polen entscheiden
               konnten, ob sie zunächst im besetzten Pegnitz  bleiben oder nach Polen ausreisen
               wollen,  sollten  alle  Personen,  denen  die  russische  Staatsangehörigkeit  zugeordnet
               wurde, in Stalins Machtbereich ausgeliefert werden. (Dies war zwischen den Sieger-
               mächten auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 vereinbart worden.) Die betrof-
               fenen Menschen konnten nicht davon ausgehen, dass sie dort willkommen geheißen
               werden, galten sie doch als „Verräter und Kollaborateure“. Am 29. November 1945


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                  Stadtarchiv Pegnitz, Signatur B / II 8c/Nr. 7b.
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