Page 11 - Von der Pegnitzhütte zum KSB-Standort
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               einen  modernen  Industriestaat  verwandelt,  und  mit  der  rasch  expandierenden
               Werksniederlassung  in  Pegnitz  traf  das  Industriezeitalter  mit  zwanzigjähriger
               Verspätung  auf  die  Kleinstadt.  Im  Gegensatz  dazu  hatte  sich  der  Sitz  des
               Unternehmens, die etwa 60 km von Pegnitz entfernte Großstadt Nürnberg, längst zu
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               einem bedeutenden deutschen Industriezentrum entwickelt.

                1.2 Rotgießermeister und Industriepionier: Johann Andreas Paul Hilpert


               Das  im  Jahr  1890  auf  Pegnitz  ausgreifende  Unternehmen  spiegelt  in  seiner
               Entwicklung  in  typischer  Weise  das  wider,  was  mit  einer  „industriellen  Revolution“
               verbunden  wird.  Aus  einem  Nürnberger  Rotgießergesellen  wurde  ein  Industrieller,
               aus seinem Handwerksbetrieb erwuchs ein industrielles Großunternehmen.

               1853 bewarb sich der 24jährige Rotgießergeselle Johann Andreas Paul Hilpert beim
               Magistrat  der  Stadt  Nürnberg  um  das  Bürgerrecht  und  den  Meisterbrief.   Weil  der
               Sohn eines kleinen Bauern aus Großreuth-Schweinau (heute ein Nürnberger Stadt-
               teil) nur ein „bares Vermögen“ von 50 Gulden hatte, führt er in seinem Antrag ent-
               schuldigend aus:

                      „Größere Ersparungen konnte ich nicht machen, da ich als Geselle fortwäh-
                      rend meine Mutter, welche eine Viktualienhandlung betrieb, aber nicht herbei-
                      brachte,  dessen  sie  bedurfte,  mit  Geld  zu  unterstützen  hatte,  wobei  ich  be-
                      merke, daß, als mein Vater im Jahre 1843 starb, er 6 Kinder hinterließ, von
                      welchen  ich  mit  14  Jahren  das  älteste war, welche  geleistete  Unterstützung
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                      auch der Grund war, daß ich von der Wanderschaft dispensiert wurde“  .

               Viktualienhändlerinnen waren oft Witwen von Kleinbauern, die den Lebensunterhalt
               ihrer Kinder dadurch zu sichern suchten, dass sie aus ihrer bäuerlichen Umgebung
               landwirtschaftliche Produkte übernahmen, um diese dann auf dem städtischen Markt
               oder bei städtischen Haushalten mit Gewinn zu verkaufen. Die Frauen mussten mit
               dem Warenkorb auf dem Rücken oft lange Strecken zurücklegen. Dass das Ergebnis
               dieser  zeitaufwändigen  und  anstrengenden  Arbeit  nicht  ausreichte,  um  das  Leben
               der vielköpfigen Familie zu sichern, ist nicht verwunderlich. Der Älteste, mit seinen 14
               Jahren noch Lehrling beim Rotgießermeister Körber in Nürnberg, musste spätestens
               als Geselle mit seinem Lohn der Mutter beistehen.

               Am 1. Mai 1854 erhielt der 25jährige Johann Hilpert, nachdem er die Meisterprüfung
               mit  der  Note  „vorzüglich“  bestanden  hatte,  vom  Magistrat  der  Stadt  Nürnberg  die
               „erledigte Conzession“ eines Rotgießermeisters. Die „Feuerspritzen“ der Nürnberger
               Rotgießer waren seit dem Mittelalter weit verbreitet,  und die späteren Feuerlösch-
               pumpen der Amag-Hilpert-Pegnitzhütte entsprechen alter Nürnberger Tradition.

               Der Magistrat vermerkte mit Genugtuung, dass Hilpert ein Nürnberger Mädchen zu
               heiraten gedenke. Schon im September 1854 heiratete Hilpert die Bleistiftmacherin

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                 Nürnbergs Einwohnerzahl hatte sich zwischen 1870 und 1910 auf 327.000 vervierfacht
               (http://www.archiv.statistik.nuernberg.de/JB/1910/seiten/JB_1910.htm#VII. Abruf 03.08.2015). Nürn-
               berg hatte vor dem 1. Weltkrieg im Deutschen Reich den größten Anteil von Arbeitern an der Wohn-
               bevölkerung und lag damit vor Essen und Chemnitz. (http://www.spd-chemnitz.de/eine-
               sozialdemokratische-subkultur.html. Abruf 29.12.2014). Die Industrie der Landeshauptstadt München
               überholte diejenige Nürnbergs erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts, und Nürnberg war der Aus-
               gangspunkt der bayerischen Industrieverbände (vgl. Abschnitt 5.1.2).
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                 Gert von Klass, 100 Jahre Amag-Hilpert-Pegnitzhütte Nürnberg. Ein Beitrag zur Geschichte der Ar-
               maturen und Pumpen, Darmstadt (1954), 11.
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