Vor 60 Jahren – Atomschlag in der Oberpfalz – Manöver Wintershield 2
Vom 02. bis 08. Februar wurde eines der größten US-Manöver in Deutschland abgehalten, die Übung „Wintershield 2“, auch „Nuclear Winter“ genannt. Bei dem in Osterbayern durchgeführten Manöver waren 60000 Soldaten, überwiegend Amerikaner, aber auch die Bundeswehr und erstmalig Soldaten der französischen Armee beteiligt. Es kamen über 15000 Fahrzeuge zum Einsatz. Auch in Pegnitz waren die Militärs präsent.
Generalleutnant Garrison Davidson, damaliger Oberbefehlshaber der 7th US Army wurde mit der Durchführung des Großmanövers beauftragt. Wichtigste Ziele waren die Zusammenarbeit mit anderen NATO-Partnern. Es galt Sprachbarrieren zu überwinden und die unterschiedlichen taktischen Auffassungen von US Army, der noch jungen Bundeswehr und anderen NATO-Partnern zu koordinieren. Die Einsatzbereitschaft und die Feuerkraft der US-Verbände in Deutschland sollte getestet werden.
Ein weiterer Übungsschwerpunkt war die Wahl von Atomzielpunkten und die Erhöhung der Erfolgsquote von Atomschlägen. Auch die Erkundung der Ziele mit unbemannten ferngesteuerten Aufklärungsflugzeugen (das waren die ersten Drohnen!) wurde damals erstmalig getestet.
Die 1960 bei Wintershield 1 erkannten Schwachpunkte sollten bei Wintershield 2 verbessert werden. Eingesetzte Fahrzeuge waren z.B. der schwere Kampfpanzer M103, M48A1-A2, der Boden-Boden-Raketenwerfer Honest John, Boden-Luft-Raketen Nike, Atomkanonen M65 Atomic Annie sowie den neuen französischen Brücken- und Übersetzfahrzeug Gillois.
Bei dem Manöver wurde angenommen das die NATO-Streitkräfte („blaue Truppe“), bestehend aus den Einheiten 5 US-Corps, 8th US-Infantry Division, 14th US-Armored Cavalry Regiment, 11. Französische mechanisierte Brigade, Panzerbataillon 54 der Bundeswehr, dem Heavy Tank Bataillon 33rd US-Armored sowie weiterer Einheiten, von den „Aggressoren“ („rote Truppe“), bestehend aus dem 7. US Corps, 4th US-Armored Division, 2nd US-Cavalry Regiment, Panzergrenadierbrigade 11 der Bundeswehr, 168th und 237th US-Engineer Bataillon und weiterer Truppenteile angegriffen werden.
Insgesamt wurden während der Übung 79 Atomwaffenschläge „ausgeführt“, davon sieben Sprengungen mit Atomminen, hauptsächlich gegen Gewässerübergangsstellen und Hauptnachschubstraßen sowie weitere Atomwaffenschläge durch die Luftwaffe, durch Raketensysteme und der Atomartillerie.
Auch Pegnitz wurde von Truppenbewegungen und gespielten Kampfhandlungen nicht verschont. So leistete der Bahnhof Pegnitz bei der Panzerverladung zum An- und Abtransport vor allem der schweren Kettenfahrzeuge einen wichtigen Beitrag.
Die Wetterlage zu dieser Zeit stellte sich als großes Problem heraus. Frost, Schnee, Regen und Tauwetter wechselten sich ab und die Manöverschäden durch die schweren Fahrzeuge waren immens. So wurden alleine die Flurschäden zwischen Pegnitz und Körbeldorf auf 5970,00 DM beziffert (der Monatsverdienst eines Arbeiters lag im Durchschnitt in Deutschland bei 590,00 DM). Der Gesamtschaden des Manövers wurde auf etwa 6 Millionen DM beziffert.
Der Besitzer eines Wiesengrundstückes am Wiesweiher klagte über mehrere Jahre über ausbleibendes Wachstum und sogar über das Absterben des angepflanzten Weizens. Einige Panzerfahrzeuge waren dort abgestellt und verursachten eine Bodenverschmutzung. Es wird vermutet das Öl oder Frostschutzmittel das Erdreich verseuchte.
Die Molkereigenossenschaft Pegnitz-Eschenbach berichtete von einer zerstörten Milchbank in Krottensee die am 04.02.1961 von einem US-Panzer zerstört wurde.
Trauriges Resümee der Übung: 14 Soldaten und Zivilisten fanden dabei ihren Tod.
Die Atomkanone M65 – Atomic Annie
Auch in Pegnitz wurden während der Übung Wintershield 2 die riesigen Kanonen eingesetzt
Aus mündlichen Überlieferungen ist mir bekannt, es standen während der Übung zwei der Geschütze am Haselberg, zwischen dem Gunzerberg und Neuhof, etwa südlich des heutigen Flugplatzes. Angeblich wurde von dort aus in den Truppenübungsplatz Grafenwöhr geschossen.
Von dem schweren nuklearfähigen Atomgeschütz des Kalibers 280mm mit dem deutschen Spitznamen Atom-Anni wurden nur 20 Stück gebaut, davon waren 16 bei der 7.US-Armee in Westdeutschland stationiert. Sie war eine Weiterentwicklung des deutschen Eisenbahngeschützes K5. Die Entwicklung begann 1949 in den USA, die Produktion startete 1952.
Das 50 Tonnen schwere Geschütz wurde zum Transport zwischen zwei Zugmaschinen aufgehängt, die beiden Fahrer konnten über ein Sprechanlage kommunizieren. Insgesamt wog das Waffensystem 83 Tonnen die mit maximal 50 Km/h auf der Straße bewegt werden konnten. Der Auf- und Abbau des 25,6 Meter langen Geschützes benötigte mit 5-7 Mann etwa 15 Minuten. Die Breite des Gespannes betrug 3,15m. Es konnte hochexplosive Panzermunition, Nuklear- und Dummy-Geschosse mit einer Reichweite bis 29Km abgefeuert werden.
Am 15. Mai 1953 wurde auf dem Nevada-Testgelände das erste Nukleare Geschoss mit einer Sprengkraft von 15 Kt (Kilotonnen) abgefeuert, was etwa der Stärke der Hiroshima-Bombe entsprach. Es war das einzige Nukleare Geschoss das jemals aus der Atom-Anni abgefeuert wurde.
Die zuletzt doch als zu schwerfällige Kanone wurde 1963 außer Dienst gestellt, das Zeitalter der Raketen war angebrochen.
Munitionslager für die Mannshohen Geschosse waren in Mainz, Nürnberg, Bamberg und Grafenwöhr eingerichtet.
Interessant ist auch die damalige Auswertung von Brigadegeneral Oskar Munzel, 1956-1962 Kommandeur der Panzertruppenschule der Bundeswehr. Er stellte bereits bei der Übung „Hold fast“ in Schleswig-Holstein 1960 fest das „reichlich mit Atomschlägen operiert wurde“, obwohl die Ausrüstung hierfür fehlte und die ABC-Ausbildung nicht ernst genommen wurde. Zu Wintershield 2 bemerkte er: „Die Wirkung atomarer Schläge, obschon immer wieder eingespielt, entfaltete nicht ihre psychologische Komponente. Das Atomspiel wurde von den Soldaten nicht ernst genommen, da Übungen die verheerenden Verluste nicht entsprechend abbildeten“.
Die Militärübung Wintershield 2 geschah 6 Monate vor dem Baubeginn der Berliner Mauer im August 1961.
8 Monate nach dem Manöver, am späten Nachmittag des 26. Oktober 1961 stand der Atomkrieg zwischen Ost und West auf des Messers Schneide als sich im geteilten Berlin 11 Sowjetische Kampfpanzer T-54 und 7 amerikanische Kampfpanzer M48A1 des 6th Battalion 40th Armored Regiment am Checkpoint Charlie gegenüberstanden.
Hätte in diesem Moment jemand die Nerven verloren, eine Kugel oder ein Geschoss abgefeuert, wäre ein nuklearer Vernichtungskrieg zwischen den Weltmächten möglich gewesen. Mit der zerrissenen deutschen Stadt im Zentrum.
Der Ex-Sowjet-Botschafter Walentin Falin (1926-2018) erinnerte sich später: „Uns trennten nur noch Sekunden und Meter vom Unglück…“
Jörg Wettengel, im Januar 2021